Nach den jüngsten Landtagswahlen ist die Sozialdemokratie wieder im Aufwind. Doch der Weg dorthin war beschwerlich. Das zeigt der Dokumentarfilm „Sozialdemokraten. Achtzehn Monate unter Genossen“, der am Dienstag (26. Juli) um 22.45 Uhr im Ersten Programm (ARD) gezeigt wird. Er wagt auch einen Blick in die Zukunft der Partei. Eine Filmkritik von Nils Michaelis.
„Die SPD muss wieder stärker an die Basis gehen, dorthin, wo es brodelt, manchmal riecht und gelegentlich auch stinkt.“ Kaum ins Amt gewählt, sorgte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel beim Dresdner Parteitag für Aufbruchstimmung. Die innerparteiliche Diskussion über zeitgemäße Strukturen und programmatischen Leitlinien sind längst nicht abgeschlossen – man denke an die Parteireform oder ein neues Steuerkonzept. Wenige Wochen zuvor, im September 2009, hatte die SPD eine schmerzliche Wahlniederlage hinnehmen müssen. Basis und Führung waren sich einig: So konnte es nicht weitergehen. Doch wo steht die Sozialdemokratie heute? Und wo will sie hin?
Man könnte sagen, dass sich der Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister („Schleyer. Eine deutsche Geschichte“) Gabriels Worte zu Herzen genommen hat, wenn auch in umgekehrter Richtung. Eineinhalb Jahre lang begleitete er die Genossen auf ihrer Sinnsuche und erkundete die Stimmung an der Basis. Sozialdemokraten“ zeigt alle Höhen und Tiefen, die die SPD zwischen der verlorenen Bundestagswahl und den Wahlsiegen in Hamburg und Baden-Württemberg erfahren hat. Es ist das Panorama einer lebendigen Volkspartei, die in all ihren Verästelungen beschrieben wird. Hachmeister gelingen mitunter skurrile und ungeschönte Einblicke in Pflichtveranstaltungen. Ob auf einem niedersächsischen Kartoffelfest oder bei Begegnungen mit Betriebsräten im Ruhrgebiet: Mit Stallgeruch wird nicht gegeizt.
Selbstkritisch und schnörkellos
Der 90-minütige Film kommt ohne Kommentar aus, dafür reflektieren führende Genossen jedweder Strömung – wie unter anderem Frank-Walter Steinmeier, Andrea Ypsilanti, Matthias Machnig, Hannelore Kraft, Andrea Nahles, Gerhard Schröder und eben auch Sigmar Gabriel – die schwierigen Zäsuren der letzten Zeit. Dabei sparen sie nicht an Selbstkritik. In gewohnt schnörkelloser Weise bewertet Peer Steinbrück die innere Verfassung der SPD: „Die jetzigen Veranstaltungsformate, auch die jetzige Organisation, die jetzigen Mechanismen der Macht halte ich nicht mehr zeitgemäß für das 21. Jahrhundert.“ In der nachfolgenden Generation wird der Wunsch nach inhaltlichen Impulsen deutlich. „Ich wünsche mir, dass sich die SPD wieder mit grundlegenden Menschheitsfragen befasst“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der "Sozialistischen Jugend-Internationale" (IUSY), Cordula Drautz.
Damit werden die beiden Kernfragen deutlich, die in „Sozialdemokraten“ mal subtil, mal drastisch mitschwingen: Wie sieht zeitgemäße sozialdemokratische Politik aus? Welche Inhalte und Strukturen braucht die Partei, um gerade junge Leute zu errreichen – nicht nur als Wähler, sondern auch als „Personal“. Eines wird gerade in den Worten von Nahles, Kraft und Schröder deutlich: Die SPD muss die eigenen Stärken besser verkaufen. Das heißt auch, sich zu den Reformen der Agenda 2010 zu bekennen, sich gleichzeitig aber auch dafür einzusetzen, damit verbundene Fehlentwicklungen, wie etwa im Niedriglohnsektor, zu korrigieren. Um damit, wie auch Gabriel nach der Premiere des Films in einem Berliner Programmkino erklärte, den Wert der Arbeit als „Gründungsmythos“ und Alleinstellungsmerkmal sozialdemokratischer Programmatik wieder in den Vordergrund zu stellen.
Basis und Internet
Gabriel nahm in der Diskussionsrunde nach der Premiere zu manch kritischer Frage selbstironisch Stellung. „Die Sozis schauen gerne in die Vergangenheit, aber sie müssen aufpassen, dass sie nicht mit dem Rücken zur Zukunft stehen“, so der Vorsitzende. Zu künftigen Organisationsformen sagte er: „Die SPD muss zu einer Mitglieder- und Bürgerpartei werden, in der auch die Leute mitmachen, die nicht unbedingt Parteimitglieder sind.“ Gleichwohl ließ er es sich an einigen Stellen nicht nehmen, die Kritik zurückzugeben. Etwa als Replik auf Hachmeisters Anregung, in der Außendarstellung mehr auf die sogenannte Medienkompetenz zu setzen. „Die Parteibasis erreichen sie nicht im Internet, da müssen Sie hingehen“, so Gabriel.