Unterschrift Wolfgang Thierse

13. September 2024

 
13. September 2024

Woher kommt diese unfassbare Wut? - Beitrag in Publik Forum

Publik Forum 17/2024 vom 13. September 2024, Seite 12

Woher kommt diese unfassbare Wut?

Wolfgang Thierse über die Wahlen in Sachsen und Thüringen

 

Die Erfolge von AfD und BSW sind für mich eine persönliche Niederlage. Offenbar verstehen viele Ostdeutsche unter Demokratie etwas anderes als die meisten Menschen im Westen. Mit gefährlichen Folgen.

Der 1. September 2024 ist ein Einschnitt in der deutschen Demokratiegeschichte seit 1945. Vor fünf Jahren erhielt die AfD bei ostdeutschen Landtagswahlen bereits 25 Prozent der Stim­men. Sie erreichte aber keinen Einfluss auf die Regierungsbildung. Da konnte man meinen, wie es in einem Kommentar hieß: »Noch einmal davongekommen.« Diesmal sind wir nicht davongekommen. Wir stehen vor einem Ergebnis, das mich nicht überrascht, aber traurig und wütend macht. Und das ich als persönliche Niederlage empfinde.

Ich bin in Thüringen aufgewachsen, habe lange dort gelebt, war auch als Politiker in den ostdeutschen Ländern immer wieder unterwegs. Ich bilde mir ein, Land und Leute zu verstehen. Als Bundestagspräsident bin ich Hilferufen von demokratischen Initiativen in thüringischen und sächsischen Kleinstädten gefolgt, um sie gegen Neonazis und rechte Schläger zu unterstützen. Landes- und Kommunalpolitiker nannten mich daraufhin Nestbeschmutzer, ein Naziproblem gäbe es bei ihnen gar nicht. Das darf man nicht vergessen: Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit, Antisemitismus, Demokratieverachtung waren immer Teil ostdeutschen Lebens und Empfindens, schon zu DDR-Zeiten. In meiner Zeit als aktiver Politiker habe ich gegen manchen Widerstand immer wieder neu versucht, die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten, die ostdeutschen Probleme zur Sprache zu bringen und zum Gegenstand gesamtdeutscher Lösungsanstrengungen zu machen. Ich warb um Verständnis für die ostdeutschen Nöte, Ängste, Hoffnungen und in Ostdeutschland um Verständnis für die Mühsal und Langsamkeit von Demokratie.

Und nun dies. Nach 34 Jahren deutscher Einheit verhelfen meine Landsleute einer rechtspopulistisch-rechtsextremistischen Partei, der Partei eines völkischen Nationalismus, zu einem solchen Erfolg. Nur eine Protestwahl? Die Wähler in Sachsen und Thüringen wussten genau, wen sie wählen – Höcke und Co. haben sich deutlich genug ausgedrückt. Sie wählten die AfD aus Überzeugung, aus inhaltlicher Übereinstimmung. Da ist nichts zu beschönigen. Noch nie in Nachkriegsdeutschland haben Rechtsextreme so viel und so gefährliche Macht erhalten. Zugleich wählen andere das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW), dessen Programm in einer Person besteht, das zwar kaum Mitglieder hat, aber dafür zwei sehr großzügige Spender – und ganz viel Verheißung. »Bei uns bekommt die Zukunft eine Heimat«, heißt es auf einem BSW-Plakat.

Die beiden Parteien BSW und AfD erreichen zusammen im sächsischen Landtag fast und im thüringischen Parlament eindeutig die Mehrheit der Mandate. Das ist eine furchtbare Niederlage für die bisher regierenden Parteien. Das Fatale: Diese Wahlergebnisse werden die Schwierigkeiten der Regierungsbildung und der demokratischen Entscheidungsprozesse noch vergrößern und damit unausweichlich neue Ungeduld, Enttäuschung und Wut produzieren. Was die Wähler vermutlich nicht wollten, haben sie selbst herbeigeführt.

Apokalyptische Bilder

Ich war in den vergangenen Monaten in Thüringen unterwegs. Das Ausmaß der Wut gegen »die da oben«, hat mich erschreckt, dieser Hass auf demokratische Politiker und Institutionen. Meinungsumfragen belegen eine wachsende Zustimmung zu Gewalt. Das Wahlergebnis ist Ausdruck dieser Wut und der massiven Unzufriedenheit mit den Landesregierungen und vor allem der Bundesregierung. Das ist verständlich. Diese Bundesregierung quält uns mit ihrem ständigen Streit, sie scheint nicht fähig, einen riesigen Problemberg auf überzeugende Weise zu bewältigen. Sie eignet sich wahrlich gut zum Sündenbock. Damit ist sie ja, leider, nicht allein in Europa: Fast überall kriseln Regierungen, erstarken rechtsextreme und populistische Kräfte. Das ist kein Trost, im Gegenteil. Es sollte aber ein wenig vor monokausalen Erklärungen und allzu flotten Schuldzuweisungen schützen.

Mir ist ein Widerspruch aufgefallen: Viele Ostdeutsche schimpfen hemmungslos, malen die Lage schwarz, das Land scheint ihnen im Untergang. Und zugleich sagen die meisten: Mir geht es eigentlich ganz gut. Das ist ein Widerspruch, der durch viele Meinungsumfragen bestätigt wird. Von rechts kommt eine apokalyptische Stimmung, der argumentativ kaum beizukommen ist.

Befragt, was konkret der Anlass für ihre Kritik und Wut ist, sind es immer wieder dieselben Themen. Da ist zum einen eine geradezu hasserfüllte Angst vor der Migration, vor der Unbeherrschbarkeit der Zuwanderung, auch in Orten, wo es kaum Ausländer gibt. Damit verbunden ist ein diffuses Gefühl von Unsicherheit wegen zunehmender Kriminalität – die Mordtat von Solingen war gewiss noch einmal ein Trigger. Hinzu kommen die Wut über das Heizungsgesetz und Energiekosten, die Angst vor den Folgen des Ukrainekrieges.

Es geht immer um wirkliche Probleme, die aber im Gefühl ins Katastrophische übersteigert werden. Und überhaupt: dass »die da oben« und »die im Westen« über uns bestimmen wollen, von uns einfach so viele schmerzende Veränderungen verlangen! Das Wahlergebnis ist wohl auch Ausdruck einer gewachsenen ostdeutschen Verärgerung und Renitenz: Die in Berlin befassen sich mit der Cannabis-Freigabe, mit Gendersprache und der Geschlechts-Selbst­bestimmung; sie überfordern uns mit ihren eifrigen ökologischen Zwangsmaßnahmen. Sie kümmern sich nicht um unsere wirklichen Probleme: den Zusammenbruch des öffentlichen Verkehrs und der Gesundheitsversorgung auf dem Land, dem Wegfall der vertrauten Arbeitsplätze, den nach wie vor bestehenden West-Ost-Differenzen bei Einkommen und Vermögen, bei der Wirtschaftskraft. Es gibt ja tatsächlich und trotz aller Anstrengungen und Fortschritte der vergangenen 35 Jahre noch deutliche wirtschaftlich-soziale und auch kulturell-mentale Unterschiede zwischen West und Ost. Wir sind, wie der Soziologe Steffen Mau schreibt, »ungleich vereint«.

Die vielen Facetten der Krise

Was Ostdeutschland erlebt, ist das nur und besonders ostdeutsch? Oder erleben, erleiden, empfinden die Ostdeutschen nur mit besonderer Härte und Verunsicherung, was die allgemeine Weltlage bestimmt, in Europa und auch im Westen Deutschlands? Nämlich die Gleichzeitigkeit verschiedener umwälzender Entwicklungen und heftiger Veränderungen?

Man spricht von einer Polykrise. Zu ihr gehört die widersprüchliche Globalisierung mit ihren Migrationsschüben, die das Fremde näher bringen und das Eigene, Selbstverständliche infrage stellen; gehört in einer geöffneten Welt die unvermeidliche und doch konfliktbehaftete ethnische und kulturelle Pluralisierung unserer Gesellschaft. Hinzu kommen die dramatischen Veränderungen von Produktion und Kommunikation durch künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Vor allem die Verhinderung der ökologischen Katastrophe verlangt so viel radikale Ver­änderung unserer Lebensweise. Und dann sind da noch die Ängstigungen durch Pandemien, durch Inflation, durch Terrorismus und Gewalt, durch nicht enden wollende Kriege.

Das sind wahrlich schwere Zeiten für die Politik, in denen Maßnahmen zur Bewältigung der einen Krise zur Verschärfung einer anderen führen können. Die Bedingungen für das Gelingen demokratischer Politik, für deren Entscheidungen sind unübersehbar komplex und mühselig geworden. Was wiederum die Ungeduld verschärft und das vielleicht verständliche, aber doch autoritäre Bedürfnis nach »Führung« verstärkt, nach einem Alexander, der den gordischen Knoten durchschlägt.

Allerdings: Die Ängste und Unsicherheiten sind höchst ungleich verteilt. Es gibt unübersehbar ein West-Ost-Gefälle der Sicherheiten und Gewissheiten. Man darf nicht vergessen: Im Osten gab es einen Systemwechsel, einen radikalen Umbruch, ökonomisch-sozial wie moralisch-kulturell. Viele haben erlebt, wie die eigenen Lebenserfahrungen und Lebensleistungen entwertet werden und verschwinden.

Bitte nicht noch mehr Veränderung!

Zeiten heftiger Veränderungen und Verunsicherungen – das sind Zeiten für Populisten, also für die großen und kleinen Vereinfacher und Schuldzuweiser. Sie versprechen, die verständlichen Sehnsüchte nach Erlösung von ängstigenden Unsicherheiten flott zu befriedigen.

In Ostdeutschland trifft die gegenwärtige Veränderungsdramatik auf Menschen, die die dramatischen Veränderungen seit 1989/1990 mit Schmerzen und Verlusten noch nicht gänzlich und vor allem nicht gleichermaßen erfolgreich bestanden haben. So viel Umwälzung in kurzer Zeit und nun die nächste Welle umgreifender Veränderungen! Die das mühsam Erreichte und Behauptete infrage stellen. Bitte nicht schon wieder! Dieses Empfinden macht nicht wenige empfänglich für die einfachen, radikalen Botschaften, für das Angebot alt-neuer konservativ-nationaler Gewissheiten und wütend-aggressiver Abwehr schmerzender Veränderungen. Der Soziologe Steffen Mau spricht von »Veränderungserschöpfung«, die in Ostdeutschland besonders heftig und durchaus aggressiv wahrzunehmen ist.

AfD und BSW sind bei den Wahlen erfolgreich geworden, indem sie auf gegensätzliche und zugleich durchaus verwandte Weise das Bedürfnis nach einfachen und schnellen Antworten und nach »Führung« bedienen. Sie versprechen schmerzlose Veränderung und verschweigen deren Kosten, die Opfer sollen die anderen bringen − und sein. »Remigration« steht in großen Buchstaben auf den AfD-Plakaten, Höcke schreit: »Ausländer raus« und »Grenzen dicht« und erntet jubelnde Zustimmung. Das BSW präsentiert Sahra Wagenknecht, die selbst gar nicht kandidiert, als Erlöserfigur und Wunderheilerin. Die verständliche, berechtigte Friedenssehnsucht ist für beide erfolgreich instrumentalisierbar gewesen: Soll doch die Ukraine den Preis ihrer Unterwerfung, ihrer Freiheit entrichten, damit unser Ruhe- und Friedensbedürfnis befriedigt wird.

Zur wirksamen Erbschaft der DDR gehört eine eigentümlich ambivalente Staatsfixierung. Misstrauen, Ablehnung und Wut gegenüber »denen da oben«, den demokratischen Parteien, Politikern und auch öffentlichen Medien, stehen durchaus in der Tradition des autoritär geprägten Verhaltens zu kommunistischen Zeiten: Man hatte in der DDR alles von oben zu erwarten, alles wurde von oben angeordnet – das eben bedeutete die »führende Rolle der SED«. Selbstverantwortung war nicht gefragt, sie war verdächtig im vormundschaftlichen Staat.

Hoffen auf Helmut Kohls Versprechen

Gegen Ende der DDR, nach einem langen Prozess der Erosion, war die Autorität von Partei und Staat erschüttert. »Die da oben« konnten den versprochenen Wohlstand nicht liefern; die ideologischen Zukunftsverheißungen wurden nicht mehr geglaubt. Der moralische Zusammenbruch des Regimes folgte, ein notwendiger Teil der Revolution von 1989, die von einer Minderheit angezettelt und dann von der Mehrheit getragen wurde, die von der DDR enttäuscht war – bis zur Wahl am 18. März 1990.

Das Ergebnis dieser Wahl war von unüberbietbarer Eindeutigkeit. Eine große Mehrheit wollte, erklärlicherweise angesichts des auch wirtschaftlichen Zusammenbruchs, so schnell wie möglich unter das rettende Dach der Bundesrepublik. Sie richtete ihre Erwartungen an Helmut Kohl, trug ihm die enttäuschten autoritären Erwartungen an. Er hatte schließlich, parteipolitisch genial, der deutschen Vereinigung eine bei vielen Ostdeutschen verfangende patriarchale Prägung gegeben: »Ich nehme euch an die Hand und führe euch ins Wirtschaftswunderland.«

Eine Mehrheit der Ostdeutschen wollte das glauben, enttäuscht und verunsichert, aber auch hoffnungsbereit, wie sie verständlicherweise waren. Aber: Je größer der politische Glaube, umso größer die Enttäuschung. Sie hat in Wellen die vergangenen 35 Jahre lang die ostdeutsche Stimmungslage mitbestimmt – bis zum Wahltag am 1. September. Zunächst hatte sich die politische Glaubenserwartung (und deren autoritäre Enttäuschung) an die CDU gerichtet, dann an die SPD und immer auch teilweise als Protest an die Linkspartei. Jetzt ist sie bei gleich zwei, durchaus unterschiedlichen populistischen Parteien gelandet: Der Partei eines völkischen Nationalismus und der Partei einer auf eine Heilige gegründeten Verheißung.

Die erhofften Wunder blieben aus

Als mentalitätspolitischer Nachteil erweist sich nun, was lange ein erheblicher wirtschaftlicher und sozialstaatlicher Vorteil war im Vergleich zu den östlichen Nachbarländern: der Beitritt der gescheiterten DDR zur Bundesrepublik und damit die Übernahme der Verantwortung durch einen funktionierenden Rechts- und Sozialstaat, eine gut funktionierende Wirtschaft. Unsere östlichen Nachbarn mussten sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Sie bekamen keine Hunderte Milliarden von Subventionen, keinen Solidarpakt. Ihre Führungspositionen konnten nicht von Leuten aus einem erfolgreich gewordenen Land der gleichen Nationalität übernommen werden, die ihre Erfahrungen und auch ihre Netzwerke mitbrachten. Allerdings: Keine Revolution, auch keine so friedliche, kommt ohne Elitenwechsel aus. Der schmerzt immer und umso mehr, wenn diese Eliten »einreiten«. Wäre es gänzlich anders gegangen? Ich glaube nicht. Aber es tut doch weh, wenn die Einen (die Wessis) die Lehrmeister sind und die Anderen (die Ossis) die Lehrlinge. Das ist kein gleichrangiges Verhältnis, auch wenn es unausweichlich war. Die friedliche Revolution musste ja einen Prozess der »nachholenden Modernisierung« (Jürgen Habermas) in Gang setzen.

Dieses Grundverhältnis bestätigte den alten ostdeutschen Minderwertigkeitskomplex: Wir Ostdeutsche hatten doch immer nach Westen geschaut und empfanden uns als schwächer, ärmer, schlechter als er. Verständlich, dass sich die Hoffnungen 1990 an den Westen richteten. Die Wunder aber, die erwartet, gefordert und versprochen wurden, trafen nicht ein. Der deutsche Einigungsprozess wurde mühseliger, die Angleichung der Lebensverhältnisse dauerte länger, der wirtschaftliche Transformationsprozess war furchtbar schmerzlich − die dramatische Arbeitslosigkeit steckt heute noch vielen in den Knochen. Die Ungleichheiten zwischen West und Ost, was Einkommen und Vermögen angeht, sind noch immer nicht gänzlich überwunden. Das tat weh und tut weh und wird vielfach als Zurücksetzung, als Nichtanerkennung empfunden. Ein politisch höchst ausbeutbares Gefühl. Man kann daraus einen Bestseller machen wie Dirk Oschmann (»Der Osten als Erfindung des Westens«), aber befördert damit nicht Selbstbewusstsein und Selbstverantwortung von Ostdeutschen. Man kann damit als Empörungsunternehmer bei Wahlen erfolgreich sein. Aber man hilft den Ostdeutschen damit nicht wirklich.

Die Parteiendemokratie stößt auf Ablehnung

Zu wenige Ostdeutsche haben nach 1989/1990 die gemeinsame Demokratie als Einladung zu eigener Verantwortung, als Aufforderung zum Mitmischen begriffen. Vielleicht haben sie es auch nicht begreifen können, weil der stärkere Teil des gemeinsamen Landes ja das Heft in die Hand genommen hatte, auch wenn das von der ungeduldigen ostdeutschen Mehrheit damals gewollt war. Die revolutionäre Selbstermächtigung von 1989 endete in einer nationalen Wende, und ab dann sollten es die Westparteien richten. Die Mitgliederzahlen der demokratischen Parteien blieben im Osten beklagenswert niedrig. Man hatte genug von »der Partei« (der SED). Allzu wenige wagten das riskante, enttäuschungsbehaftete Alltagsengagement in der Demokratie. Man war mit dem eigenen ökonomischen Überleben befasst. Die es wagten, wurden häufig beschimpft und bedroht. Nicht wenige haben aufgegeben, aus Frust und aus Angst.

Die Wahlergebnisse vom 1. September zeigen: Nach 34 Jahren deutscher Einheit haben wir es mit einer klar unterscheidbaren politischen Kultur zu tun. Diese ist im Osten fragiler, mit schwächeren demokratischen Strukturen, mit weniger festen Parteibindungen und vor allem bei vielen Menschen mit einer anderen Vorstellung von Demokratie: Sie wollen weniger Parteiendemokratie – mit ihrem Regelwerk und Institutionengefüge und ihren zeitraubenden Entscheidungsprozessen –, sondern eine direktere Demokratie. Der Volkswille soll vollzogen werden, statt quälendem Streit soll es die umweglose Durchsetzung der Mehrheitswünsche geben, durch eine entschlossen geführte Politik und klare Führung.

Diese Demokratievorstellung – dokumentiert durch die Wahl zweier unterschiedlicher, aber doch gemeinsam autoritärer Parteien – ist eine Herausforderung für die Parteien, die das politische System der Bundesrepublik tragen. Dieses System, fundamentaler Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, muss sich neu bewähren – in Ostdeutschland vor allem, in unruhigen Zeiten von Krisen und Umwälzungen und angesichts von so viel Veränderungsschmerz und Unwillen. Es muss keine Wunder bewirken, aber soll gute Politik machen. Die Demokraten haben die Pflicht, der autoritären Versuchung und Verführung zu widersprechen und zu widerstehen. Das ist allerdings nicht nur eine ostdeutsche Angelegenheit.

Zu meinen frühen Thüringer Erinnerungen gehört: Hier begann die Machtübernahme der Nazis. In Thüringen wurde 1930 die NSDAP zum ersten Mal Teil einer Regierung. Der Nazi-In­nenminister Wilhelm Frick betrieb sofort eine energische Personal- und Bildungspolitik, wie sie 1933 für ganz Deutschland fortgesetzt wurde. Ich weiß, man sagt, Geschichte wiederholt sich nicht. Gewiss: Sie muss und sie darf sich nicht wiederholen.