Es ist immer wieder dasselbe: Zum Jahreswechsel blicken wir zurück und blicken nach vorn, fassen gute Vorsätze, wollen alles oder jedenfalls vieles besser machen, wollen dieses tun und jenes unterlassen, wollen uns vielleicht gar selbst ändern. Das ist zutiefst menschlich. Wir können eben nicht anders, als auf Besseres zu hoffen. Und wir müssen Pläne machen, sonst gibt´s kein Morgen. Das ist wohl eine notwendige Weise, uns selbst für wichtig zu halten. Wer das nicht mehr kann oder will, hat sich aufgegeben, ist doch eigentlich schon tot. (Aber dass wir noch leben, beweisen wir uns zu Silvester, indem wir besonders viel Lärm machen und Lichter in den Himmel steigen lassen.)
Wenn man nicht mehr ganz jung ist, kennt man sich aus mit sich selbst. Und kennt auch den Spruch: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. So schlimm muss es ja nicht gleich werden. Aber man weiß das doch: Das Leben ist nun mal auch eine Abfolge von guten Vorsätzen und besten Absichten, von großen Zielen und perfekt gemachten Plänen. Wie viele davon hat man verfehlt, nicht eingehalten, nicht erreicht. Man erinnert sich der eigenen Ausflüchte und Ausreden, des eigenen Versagens und auch der immer wieder schönen Anfänge, deren Zauber allerdings immer so schnell verfliegt. Wir tragen die lastenden Erbschaften der vergangenen Jahre mit uns – und können doch nicht anders als weiterzumachen mit alledem: „Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen…und Handel treiben und Gewinn machen“.
Also ein unbelehrbares Weiter so? Die Fortsetzung des Immerselben, der gleichen Betriebsamkeit? Oder etwa Resignation? Oder gar Zynismus? Der Jakobusbrief hält dagegen. Die Verse 13-15 mahnen uns zu einer gänzlich anderen Lebenseinstellung: Es ist gewiss alles ganz wichtig, was ihr tut. Aber begreift, dass ihr nicht wirklich wissen könnt, was die Zukunft bringt, trotz aller guten Absichten und perfekten Pläne! Bedenkt eure Vergänglichkeit: „Dunst seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet“! Und vor allem bildet euch nicht ein, dass ihr wirklich Herrscher über euer Leben seid: „Wenn der Herr will, dann werden wir leben und dies und das tun“!
Sind das nicht ziemlich anstößige Aufforderungen? Quer zum Zeitgeist, quer zu unserem erheblichen Selbstbewusstsein als moderne Menschen? Nicht Unterwerfung, sondern: Wer auf sein Schicksal tritt, steht höher. So heißt der stolze Satz. Wir wollen Herr unseres Schicksals sein, Regisseur des eigenen Lebens, Autor der eigenen Biografie. Das ist unser Anspruch. Das ist unser Selbstverständnis als Menschen der aufgeklärten Moderne. Autonomie, selbstbestimmte individuelle Selbstverwirklichung - das gilt als der höchste Wert unserer Gesellschaft. Und dann ein solcher Satz: Wenn der Herr es will, dann werden wir leben.
Der Satz erinnert uns an eine fundamentale Lebenstatsache: Geboren werden, zu lieben und geliebt zu werden, gesund oder krank zu sein, zu sterben – solche entscheidenden Lebensmomente sind keine Akte reiner Selbstbestimmung. Der Satz warnt vor der Selbstsicherheit, im Leben alles im Griff haben zu können, warnt vor einem allzu selbstherrlichen Verständnis von Autonomie. Der Satz relativiert den Machtanspruch sowohl über das eigene Leben, wie über das Leben anderer.
Und vielleicht ist der Satz noch mehr, kann er noch mehr sein: Eine Einladung nämlich, sich auf die Unverfügbarkeit des Schicksals einzulassen und so – vielleicht – das unfassliche Glück der Unverfügbarkeit des Schicksals zu erfahren? Das Unverfügbare als Geschenk! In den Worten Hiobs: „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat`s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!“
An Gott zu glauben, heißt zu wissen: Wir Menschen sind nicht selbst Gott! Das mag eine Kränkung des menschlichen Selbstbewusstseins sein, Friedrich Nietzsche hat es so empfunden. Aber dieser Glaube, kann befreien: Von der Selbstüberschätzung, alles selbst lösen, alles selbst im Griff haben zu können. Von der Selbstüberforderung, alle Probleme und Konflikte selbst lösen zu müssen. Von der illusionären Leistungsideologie, dass man seines Glückes Schmied sein könne, ja sein müsse. Dieser Glaube kann schützen vor Resignation und Verzweiflung und Zynismus, die aus dem unvermeidlichen Scheitern solcher Selbstansprüche folgen. Und er ist zugleich eine Einladung zu Gelassenheit, eine Einladung zum Tun dessen was gut und notwendig ist. Dies zu prüfen, ist unsere tägliche, ernsthafte Aufgabe. Zu der wir ausdrücklich aufgefordert werden: „ Wer nun weiß, Gutes zu tun und tut´s nicht, der sündigt“, so heißt es dem auf unseren Text folgenden Vers 17.
Aus diesem Glauben kann ein viel größeres Selbstvertrauen, ein stärkeres Selbstbewusstsein gewonnen werden, weil es auf Gottvertrauen gründet. „So der Herr will und wir leben“, das ist der Ausdruck solchen hoffnungsvollen Vertrauens. Aber eben nicht der Selbstgewissheit. Und genau das könnte und sollte eine Kraft sein für die Bewältigung der so viele Ängste und Unsicherheiten erzeugenden Krisen und Konflikte der Gegenwart. Eine Garantie gibt es nicht, aber eine Verheißung. „Nächstes Jahr in Jerusalem, so Gott will und wir leben“, sagen unsere jüdischen Schwestern und Brüder. Das ist doch ein sehr passender Wunsch zum Jahreswechsel.