Berlin lebt von seiner facettenreichen Kunst- und Kulturlandschaft. Die Bedeutung der freien Szene für die Stadt ist unbestritten. So wurde die verstärkte Förderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstler/innen in das Wahlprogramm der Berliner SPD aufgenommen. Zugleich forderte im März 2012 die spartenübergreifende „Koalition der Freien Szene aller Künste“ in einem Offenen Brief das Land Berlin auf, sich deutlich mehr als bisher für die freie Szene einzusetzen.
Vor diesem Hintergrund ludt das Kulturforum „Stadt Berlin der Sozialdemokratie“ in Kooperation mit dem Bundes-Kulturforum der Sozialdemokratie zu einer Podiumsdiskussion zur aktuellen Situation der freien Szene Berlins ein.
Es diskutierten:
Christophe Knoch / Koalition der freien Szene
Tiny Domingos / Netzwerk freier Berliner Projekträume und Initiativen
Judith Raum / Haben und Brauchen
Björn Gottstein / Dach/Musik Berlin
Renate Graziadei / zeitgenössischertanzberlin e.V.
Elisa Müller / LAFT Berlin
Christiane Zieseke / Senatskanzlei kulturelle Angelegenheiten/Leiterin des Referates VD
Förderung von Künstler/innen, Projekten und freien Gruppen
Moderation: Dr. h.c. Wolfgang Thierse / Vorsitzender des Kulturforums der SPD und Vizepräsident des Deutschen Bundestages
Bericht über die Podiumsdiskussion „Was braucht die Freie Szene in Berlin?“
Wolfgang Thierse moderierte am 5. September 2012 im Kurt-Schumacher Haus der Berliner SPD eine lebhafte Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus der sogenannten Freien Szene und der Senatskanzlei Berlin unter der Fragestellung: Was braucht die Freie Szene in Berlin?
Nachdrücklich und wiederholt richteten die Vertreter der Freien Szene vor allem einen Wunsch an die Politik: Politik und Freie Szene sollten in einen kontinuierlichen Dialog eintreten, um wirksam und nachhaltig für bessere Strukturen und auch mehr Geld in der Freien Szene zu sorgen!
An vielen Orten versucht die SPD bereits diesem Wunsch zu entsprechen. Im „Kreativpakt“ und mit dem „Zukunftsdialog“ der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, in vielen Diskussionen und Veranstaltungen der Kulturforen der Sozialdemokratie und andernorts in der Partei findet ein intensiver Austausch mit Kreativen statt, wird gemeinsam an Vorschlägen gearbeitet.
Dennoch, und speziell im Dialog mit der besonders vielfältigen Freien Szene in Berlin, bleibt, das hat diese Veranstaltung im überfüllten Saal gezeigt, der Bedarf gerade auch an kontinuierlichem Austausch groß. Die wichtigsten Probleme und Vorschläge, über die nach Auffassung der Freien Szene gesprochen werden sollte, betreffen
a) die Struktur und Programme der Kulturförderpolitik,
b) die Liegenschaftspolitik in Berlin.
Zu a) Im Einzelnen forderten die Vertreter der Freien Szene:
· eine Wiederaufnahmeförderung (von erfolgreichen Stücken / Veranstaltungen),
· die Übernahme von Kofinanzierungen durch das Land Berlin,
· Fördertöpfe in Selbstverwaltung der Freien Szene bzw. zumindest eine größere Beteiligung an Förderentscheidungen,
· die Förderung nicht nur von Endprodukten, sondern auch deren Vorbereitung, d.h. auch Förderungen für die Antragsstellung und eine Werkstattförderung,
· die Flexibilisierung von Antragsfristen (wobei hier von Verwaltungsseite der berechtigte Einwand vorgebracht wurde, dass die Flut der Anträge auch noch bearbeitbar bleiben muss),
· Residenzförderung in weiteren Sparten der Freien Szene,
· mehr Basis- und Konzeptförderung statt mehr Spielstättenförderung.
Allgemein beklagt wurde die Abschaffung der 300 Kombi-Stellen (ÖBS) in Berlin. Bei Projekten, die ohnehin unter selbstausbeuterischen Bedingungen realisiert würden, garantierten die Kombi-Stellen demnach bislang die Aufrechterhaltung einer minimalen Infrastruktur.
Zu b) Als für die Freie Szene in Berlin von existentieller Bedeutung schilderten die Vertreter die Verfügbarkeit bezahlbarer Arbeits- und Projekträume in der Stadt. Dringende Appelle richteten sie an die Verantwortlichen für die Berliner Liegenschaftspolitik. Zu prüfen ist demnach, wie zu verhindern ist, dass Kulturfördergelder zu hohen Prozentsätzen in Mieten fließen (an private Besitzer oder an das Land Berlin) statt unmittelbar in den kreativen Prozess zu wandern.
Projekte und Initiativen, so der Appell, benötigen dringend Räume mit verlässlichen und bezahlbaren Mieten. Die Vertreter der Freien Szene wünschten sich deshalb, verstärkt Liegenschaften nutzen zu können, die sich in Besitz der öffentlichen Hand befinden und Kreativen unter ähnlichen Bedingungen wie Sportvereinen überlassen werden.
Fazit:
Da eine Verdrängung von Künstlerinnen und Kreativen aus den inneren Stadtbezirken bereits festzustellen ist, besteht für die Politik rasch Handlungsbedarf.
Hier sollte allem staatlichen Handeln die Erkenntnis zugrunde liegen, die der „Kreativpakt“ wie folgt ausgedrückte: „Egal ob Atelier, Probebühne, Studio, Co-Workingspace – Raum ist eine zentrale Kategorie der Kreativwirtschaft“. Dieser darf nicht einfach immer knapper und teurer werden: Liegenschaftspolitik hat nicht nur der Verwertung zu dienen, sondern muss als wichtiger Teil von Kulturförderung wahrgenommen werden.
Sollte Berlin die „City-Tax“ einführen, dann ist sicherzustellen, dass sie zu großen Teilen der Freien Szene zugute kommt. Die Freie Szene bereichert nicht nur das Berliner Kunst- und Kulturleben. Sie steigert national wie international die touristische Anziehungskraft Berlins. Wesentliches politisches Ziel muss daher sein, auch in Zukunft dafür zu sorgen, dass Berlin für die Freie Szene attraktiv und Stadt der Kreativen bleibt!